Heribert Gathof, Geschäftsführer

Querdenker sind gewünscht. Nur dadurch verlassen wir gewohnte Denkbahnen.

Eckes-Granini Deutschland

Wolfgang Nickles

Es gibt bei uns einen ganz anderen Umgang mit Menschen  – insbesondere zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern.

Eckes-Granini Deutschland

Inge Bramer

Wir sollten unserer Geschäftsleitung einen Dank aussprechen, denn das, was hier gemacht wird, ist nicht normal.

Eckes-Granini Deutschland

Eckes-Granini Deutschland

Einen noch tieferen Einblick in dieses Unternehmen erhalten Sie in dem Buch Führen mit Hirn

 

Als der Chef von Eckes-Granini-Deutschland am Ende des jährlichen Kick-Off Events seine Abschlussworte begann, rannten plötzlich zwei Mitarbeiterinnen auf die Bühne und entrissen ihm das Mikrofon. „Ich finde, wir sollten jetzt auchmal unserer Geschäftsleitung einen Dank aussprechen, denn das, was hier gemacht wird, ist nicht normal“, riefen sie ins Mikrofon. Die anwesenden Mitarbeiter stimmten ihnen mit lautem Beifall zu.

Schwache Gewinne und der Glaube an die Fähigkeiten seiner Mannschaft bewegten den Eckes-Granini-Deutschland-Chef zu Beginn des Millenniums dazu, die Strategie in die Hände von Vielen zulegen. Der Finanzchef bringt es auf den Punkt: „Nach all dem, was man an Freiheit und an Vertrauen in den eigenen Beitrag bekommt, will man unseren Geschäftsführer einfach nicht enttäuschen. Eine sehr herausfordende Art des Managements“.

Eckes-Granini Deutschland ist ein Unternehmen, das den Kulturwandel geschafft hat. Das Unternehmen lädt seine Mitarbeiter ein, sich aktiv einzubringen. Die Geschäftsleitung pflegt eine Kultur des Vertrauens und bezieht ihre Mitarbeiter sogar bei folgenschweren finanziellen Weichenstellungen mit ein. So traf ein interdisziplinäres Team im Jahr 2004 Entscheidungen, die eine risikoreiche Investition von über 50 Millionen Euro nach sich zogen. Das Vertrauen in die Fähigkeiten der Belegschaft zahlte sich aus. Die Investitionen sicherten eine substanzielle Umsatzsteigerung sowie einen deutlichen Wettbewerbsvorteil – und damit die langfristige Marktführerschaft des Unternehmens.

EIN NEUER FÜHRUNGSSTIL

Als der heutige Granini-Geschäftsführer Heribert Gathof im Jahr 2000 das Ruder der neugegründeten Deutschlandgesellschaft übernahm, sah er sich finanziell herausfordernden Zeiten gegenüber. Bislang waren die Führung der Gruppe und das Deutschlandgeschäft immer unter einem Dach zu finden gewesen. Overheads ließen sich gut teilen. Nach Neugründung der Deutschlandgesellschaft war es hiermit vorbei. Plötzlich musste Eckes-Granini Deutschland einen grösseren Kostenapparat stemmen. „Wir waren schwach schwarz in unseren Zahlen und brauchten Lösungen, um tiefschwarze Zahlen zu schreiben.“, erzählt Gathof heute.

Als ehemaliger Marketingchef der Gruppe war er jemand, der kreative Unruhe schätzte. Er hatte in seinem Berufsleben die Erfahrung gemacht, dass nachhaltige Lösungen nicht immer von oben, sondern aus allen Teilen des Systems kommen. Geprägt hat ihn dabei James Surowieckis Buch „The Wisdom of Crowds“ – aber auch eine Erfahrung, die er mit dem vorherrschenden Führungsstil der 80 und 90er Jahre gemacht hatte. „Ich hatte ein ungutes Gefühl, wenn sich wieder einmal alle Funktionsvertreter trafen, einen unausgesprochenen Nichtangriffspakt vereinbarten und das dann, ,Strategie‘ nannten“, erinnert sich Gathof. Er wollte anders entscheiden und organisierte heimliche Treffen mit Kollegen, die wirklich etwas verändern wollten. Gemeinsam erarbeitete das Team ein Thesenpapier, das eine strategische Ausrichtung des Unternehmens beschrieb. Erst nach seiner Fertigstellunggestand Gathof seinem damaligen Chef, dass er heimlich ein interdisziplinäres Strategieteam gegründet hatte.

Die Reaktion: Statt disziplinarischer Maßnahmen erbat Gathofs Vorgesetzter ein Treffen auf „neutralem Boden“, auf dem die Ergebnisse präsentiert werden sollten. Das enttarnte Strategieteam und der Vorgesetzte trafen sich in angemieteten Räumen am Frankfurter Flughafen. Nach dem Treffen wusste Gathof mit Sicherheit, dass Strategie nicht immer von oben kommen muss. Sein Chef hatte elf der fünfzehn Thesen übernommen.

KOLLEKTIVE INTELLIGENZ

Diese Erfahrung und das Konzept der „Wisdom of Crowds“ übernahm Gathof, als er im Jahr 2000 die Führung von Eckes-Granini Deutschland übertragen bekam. Nach seinem Antritt wurde die Unternehmensstrategie nicht mehr allein von der Geschäftsleitung bestimmt, sondern unterstützt von einem Team, das sich aus allen Bereichen und Hierarchieebenen zusammensetzte. 40 Mitarbeiter trafen sich im Jahr 2000 mehrfach zu Workshops und stellten sich die Frage „Wo steht Eckes-Granini im Jahr 2005?“.

Aus dieser eigentlich rein strategischen Frage entwuchsen für das Unternehmen schnell operativ umsetzbare Antworten. Die Empfehlungen des Strategieteams hatten den Wandel von Glasflaschen hin zu PET Flaschen zur Folge. Die Mitarbeiter hatten in ihren gemeinsamen Diskussion die existenzielle Bedrohung durch das Einwegpfand erkannt und empfahlen, schnell auf PET umzustellen. Nach Zustimmung der Aufsichtsgremien investierte Eckes-Granini daraufhin über mehrere Stufen einenzweistelligen Millionenbetrag – und die Umsätze schnellten als Belohnung nach Einführung der PET Flaschen um 70 % nach oben.

Seit dem Jahr 2000 trifft sich das Strategieteam weiterhin alle zwei bis drei Jahre und beleuchtet gemeinsam die Ausrichtung von Granini. Zusätzlich zur „Weisheit der Vielen“ sind alle strategischen Ausrichtungen bereits in den Abteilungen verankert und erleichtert der Geschäftsleitung die Führung der Mitarbeiter: „Die Menschen haben es ja mitentwickelt – ich brauche danach also nicht mehr zu überzeugen“, freut sich der Chef.

DAS WIR-GEFÜHL

Um das Gemeinschaftsgefühl der Mitarbeiter zu entwickeln, gibt es bei Eckes-Granini seit über zehn Jahren ein jährliches Kick-Off Event. Fast das gesamte Unternehmen stoppt für zwei Tage die reguläre Arbeit und zieht sich zurück. In den ersten Jahren wurde für das Event noch eine externe Agentur gebucht. Doch das Feeback der Belegschaft war durchwachsen. „Im Nachhinein kann man schon sagen, dass wir manchmal auch zu weit gegangen sind“, sinniert Personalchef Norbert Enk. „Da gab es auch schon mal Widerstände von Mitarbeitern, als wir versuchten, mit allen bei so einem Kick-Off zu trommeln oder zu tanzen. Es ist oft eine Frage der Balance: auf der einen Seite muß man an Grenzen gehen, um diese zu überschreiten, auf der anderen Seite darf man es nicht überziehen.“ Inzwischen traut sich die Geschäftsleitung zu, die Events gemeinsam mit ausgewählten externen Beratern umzusetzen. Das Konzept wird gemeinsam In-House entwickelt.

Die Kick-Offs sind zu etwas geworden, auf die sich fast die gesamte Belegschaft freut. Auf den Kick-Off-Events hat jeder die Möglichkeit, sich auf eine andere Art zu zeigen, als es im Büro üblich ist. In dieser Umgebung können Mitarbeiter über sich hinaus wachsen, sich neu ausprobieren und dadurch auch im Alltag beginnen, neue Wege gehen.

Die Events können sehr unterschiedlich aussehen. In einem Jahr besuchte der Einkaufschef einer grossen Handelskette das Unternehmen und berichtete der Belegschaft von den wirtschaftlichen Herausforderungen des eigenen Unternehmens – und was Eckes-Granini als Lieferant tun könne, um für den Handel noch interessanter zu werden. Ein anderes Mal wurde eine Fokusgruppe von Endkunden geladen, die vor versammelter Mannschaft die neuen Produkt- und Vermarktungsideen auseinander pflückten. Als Highlight gilt auch das Jahr, als der Geschäftsführer in Tigermuster-Stiefeletten als Thomas Gottschalk-Version ein firmeneigenes „Wetten Dass“ veranstaltete. Die Belegschaft zog mit Muskelkraft einen mit Saft vollbeladenen Vierzigtonner über das Produktionsgelände.

DER ALLTAG

Die Gewöhnung an die offene Unternehmenskultur braucht bei vielen eine Weile. „Ich habe die deutsche Landesgesellschaft als einen kritischen Gegenpart erlebt, als ich noch in der Headquarterorganisation gearbeitet habe. Dies konnte schon ermüdend sein. Das war mit den anderen Ländern einfacher.“ erzählt Wolfgang Nickles, jetziger Finanzchef bei Eckes-Granini-Deutschland und bis 2008 Leiter Controlling in der Führungsgesellschaft. „Seit ich 2008 zur deutschen Landesgesellschaft gewechselt bin, habe ich gelernt, dass es dort einen ganz anderen Umgang zwischen den Menschen gibt – insbesondere zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern. Der Mitarbeiter versteht den gesamten Prozess als seine Verantwortung und hinterfragt Änderungen kritisch. Man muss ihn überzeugen. Ist das geschehen, oder ist man als Chef von einer anderen Lösung überzeugt worden, geht es danach umso besser“

„Wir haben hier eine ergebnisoffene Herangehensweise“, erklärt Marketingchef Stefan Müller. „Das ist nicht für Jeden etwas. Kollegen mit Konzernerfahrung tun sich hier manchmal schwer. Mitarbeiter, die die Freiräume ausfüllen, die sie bekommen und damit Verantwortung übernehmen, fühlen sich pudelwohl. Mit einer gewissen Nähe muss man auch umgehen können – bei uns stehen Menschen nun mal im Mittelpunkt. Manche wollen und können beides nicht – die gehen dann meist auch schnell wieder.“

Eine der personalpolitischen Herausforderungen, denen sich das Unternehmen heute stellen muss, ist eher demographischer Natur – bei einer freiwilligen Fluktuationsrate, die bei unter drei Prozent liegt. „In drei Jahren sind die Hälfte unserer Mitarbeiter über 50 Jahre alt, ein enormes Erfahrungspotenzial, diese Mitarbeiter wissen unter welchen Bedingungen sie arbeiten wollen oder nicht und hier gilt es Antworten zu geben, ggf. sogar individuell“, erzählt der Personalchef. „Gleichzeitig machen wir uns natürlich schon Gedanken, wie wir weiterhin frischen Wind durch neue Mitarbeiter in das Unternehmen bekommen, wenn wenig Plätze frei werden, die wir nachbesetzen können“.

Auch heute sieht sich Eckes-Granini herausfordernden Zeiten gegenüber. Hohe Rohstoffpreise sind eine schwere Herausforderung für den Marktführer. Doch anstatt die Zügel enger zuziehen, vertraut das Management weiterhin der kollektiven Intelligenz seiner Belegschaft – und gibt auch in harten wirtschaftlichen Zeiten Raum, damit der Einzelne sich einbringen kann.

FIRMENFAKTEN

Die Wurzeln von Eckes-Granini gehen zurück bis ins Jahr 1857, als in Nieder-Olm mit der Produktion und dem Vertrieb von Spirituosen begonnen wurde. 1933 kamen die ersten gesunden Fruchsäfte ins Sortiment, 1958 entsteht der Klassiker „hohes C“. 1994 akquirierte Eckes die Firma Granini.

Heute hat der „Saftladen“, wie er sich selbst gerne nennt, in Deutschland einen Marktanteil von 16 Prozent und verkauft damit jährlich über 400 Mio. Liter Fruchtsaft und beschäftigt ca. 600 Mitarbeiter. Die Deutsche Geschäftseinheit ist die grösste von von 14 Landesgesellschaften, die dem Familienunternehmen insgesamt 900 Mio. Euro Umsatz bescheren.


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