Lorenz Hansen

Kulturwandel hat mit Haltung, mit Menschenbildern und der Art unserer Zusammenarbeit zu tun.

Gundlach Bau und Immobilien

Axel Tripkewitz, Geschäftsführer

Wir lassen unsere Mitarbeiter selbst bestimmen, wer wie viel Bonus erhält.

Fujitsu Semiconductor

Alexander Birken

Wir können die Digitalisierung nur meistern, wenn wir uns mit dem Kulturwandel beschäftigen – das ist der herausfordernste Teil.

Otto Group

Fujitsu Semiconductor Europe

Deutschland im Krisenjahr 2009. Überall brechen die Umsätze ein. Auch vor der Halbleiterbranche macht der Abwärtstrend nicht halt. Bei Fujitsu Semiconductor Europe (FSEU) versucht die Geschäftsleitung, gegen die Krise anzusteuern. Doch trotz aller Maßnahmen des Managements erscheint die Entlassung von Mitarbeitern nach einigen Monaten unausweichlich. Als die Geschäftsleitung die Belegschaft in einer Betriebsversammlung über die drohenden Schritte informiert, geschieht etwas Außergewöhnliches. 48 Stunden nach der Krisensitzung versichern alle Mitarbeiter von FSEU dem europäischen Personalchef, dass sie auf eigenes Gehalt verzichten würden, wenn dafür kein Kollege entlassen wird.

Nicht nur dieses Beispiel zeigt, dass Fujitsu Semiconductor Europe eine ganz besondere Unternehmenskultur etabliert hat. Das Maß an Verbundenheit, das die Mitarbeiter im Krisenjahr 2009 bewiesen haben, ist nur ein Symptom für den Erfolg maßgeschneiderter Personalprozesse und einer eigenständigen, breit akzeptierten Führungs- und Arbeitskultur innerhalb des Unternehmens.

Tatsächlich ist es eher die Ausnahme, dass ein großer internationaler Konzern wie Fujitsu einer seiner Dependancen erlaubt, komplett eigene Personalprozesse zu erarbeiten und umzusetzen und daraus eine ganz eigene Führungskultur zu entwickeln. Doch die japanische Fujitsu Limited ist mit diesem Ansatz sehr erfolgreich. Die asiatischen Manager haben verstanden, dass die kulturellen Unterschiede zwischen Europa und Japan auch und gerade im Arbeitsbereich groß sind. Zu groß, als dass eine Bevormundung durch den Inselstaat zu tragfähigen Erfolgen auf der anderen Seite der Welt führen würden. In der Konsequenz hat sich die japanische Zentrale entschieden, der europäischen Tochterfirma sehr freie Hand zu lassen. Der Präsident der ist ein Europäer. Die Zentrale in Tokio hat die letzten japanischen Chefs vor einigen Jahren zurück geholt.

FSEU nutzt diese Freiheit nun erfolgreich. Mit seinem Team von 400 Angestellten hat das Tochterunternehmen in einigen Marktsegmenten einen Weltmarktanteil von 80 Prozent erreicht. Wer sich heute in ein Auto setzt oder telefoniert, nutzt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen von FSEU in Frankfurt entwickelten Chip. Der sorgt dafür, dass all die technischen Anwendungen unseres Alltags reibungslos funktionieren.Mit solchen Erfolgsgeschichten – und mit vielen HR-Branchenpreisen – bedanken sich die Europäer bei ihrem Mutterkonzern für die Freiheit, so viel selbst gestalten zu können.

MITGESTALTUNG UND KOMMUNIKATION

Fujitsu Semiconductors Europe (FSEU) sorgt auf verschiedenen Wegen für eine enge Einbindung seiner Belegschaft. Eines der Mittel sind Mitarbeiterumfragen, die das Unternehmen jährlich durchführt. Anders als in vielen anderen Unternehmen: im Anschluss an die Befragungen führt FSEU Workshops mit ausgewählten Teams durch. Das geschieht immer dann, wenn die Personalabteilung beim Auswerten der Umfrageergebnisse den Eindruck gewonnen hat, dass an mancher Stelle gehandelt werden muss.

Die Mitarbeiter von FSEU waren zu Beginn verwundert, dass ihre Rückmeldungen so direkte Auswirkungen auch für den eigenen Arbeitsalltag hatten. Inzwischen haben die Mitarbeiter jedoch bemerkt und verinnerlicht, dass sie durch die Teilnahme an den jährlichen Umfragen und Workshops immer wieder die Möglichkeit erhalten, tatsächlich etwas im Unternehmensalltag zu verändern. Dass dies möglich ist, dazu ermutigt die Geschäftsleitung seit Jahren: „Nicht nur wir in der Geschäftsleitung, sondern wir alle sind die Firma!“, war und ist häufig das Mantra der Chefetage. Seit die Belegschaft realisiert hat, dass aktives Einbringen in Firmenprozesse tatsächlich erwünscht ist, gibt es auch ohne diese Aufforderung mehr und mehr aktives Feedback seitens der Mitarbeiter.

Eine weitere Gelegenheit für Feedback sind die so genannten „Management Talks“. FSEU etablierte diese Versammlungen, nachdem Mitarbeiter öfter die Rückmeldung gegeben hatten: „Es ist alles so schnelllebig bei uns – wir bekommen gar nicht mit, was alles geschieht“. Die Geschäftsleitung verstand diesen Satz als Wunsch in Richtung der Führungsebene, mehr und intensiver ins eigene Unternehmen zu kommunizieren, insbesondere was Veränderungen und Geschäftsentwicklungen angeht. „Wir suchten nach einem direkten und unkomplizierten Weg, diesem Wunsch zu entsprechen“, erzählt Dr. Gerhard Roos, Vice President der Business Unit Embedded Solution. Die Geschäftsleitung entwickelte daraufhin die Idee des Management Talks. Sie ist denkbar einfach, aber gerade deshalb ungewöhnlich und wirksam: Die Geschäftsleitung lädt die gesamte Belegschaft regelmäßig zu einem gemeinsames Meeting in die firmeneigenen Caféteria. Im Jahr 2007 stellte sich Geschäftsführer Shimpei Hirata erstmals vor seine gesamte Mannschaft und verkündete: „Wir wollen uns ab sofort alle zwei Monate mit Euch an diesem Ort treffen. Wir werden bei diesen Treffen etwas über die aktuellen Entwicklungen des Unternehmens erzählen. Wir wollen Eure Fragen beantworten und Anregungen annehmen, die von Euch kommen. Es gibt keine Agenda für diese Treffen.“

Anfangs war die Belegschaft ob dieses offenen Konzepts etwas irritiert. Bei den ersten Management-Talks war das für alle Beteiligten geradezu körperlich spürbar. Die Mitarbeiter waren mit dieser Form von Feedback nicht vertraut, es gab wenig Rückmeldungen. Die Geschäftsleitung stellte in Einzelgesprächen daraufhin die Frage: „Wollt Ihr das überhaupt?“. Die Antwort war eindeutig: Ja! Die meisten Mitarbeiter fanden die Management-Talks sehr gut. Nach einer gewissen Anlaufphase wurden die Mitarbeiter dann auch warm mit dem Format. Seitdem sind die Management-Talks ein reger Austauschplatz geworden. Hier wird vieles an die Geschäftsleitung herangetragen – in einer Direktheit und Unmittelbarkeit, für die es vorher schlicht keinen Rahmen gab.

Der Vorteil dieses Formats für die Führungsebene: sie entwickelt ein gutes Gespür für die Stimmung in der Belegschaft, nimmt Anregungen mit und muss lernen, Kritik einzustecken. Die Mitarbeiter haben die Gelegenheit, Kritik, Lob und Ideen schnell loszuwerden und sich Auge in Auge mit der Führungsebene auszutauschen. Das schafft Vertrauen und verbindet.

Um die Kommunikationskultur noch weiter zu verbessern, hat FSEU eine weitere Möglichkeit entwickelt. Mit einer besonderen Mitarbeiterzeitschrift sollen Viele an Viele kommunizieren. Der Clou: das Redaktionsteam des vierteljährlich erscheinenden Magazins wird nach jeder Ausgabe komplett ausgetauscht. So ist garantiert, dass verschiedene Standpunkte sicht- und lesbar werden. Jeder kann sich in regelmäßigen Abständen einbringen und eigene Themen setzen. Damit setzt FSEU ein weiteres Zeichen, dass eine breite, offene Kommunikationskultur innerhalb des Unternehmens ausdrücklich erwünscht ist.

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EINE NEUE ART, DANKE ZU SAGEN

FSEU arbeitet stark projektorientiert. Und diese Projekte wechseln häufig. Mitarbeiter kommen also relativ oft in unterschiedlichen Projekten zusammen – und beenden die Zusammenarbeit bisweilen auch nach kürzerer Zeit wieder, um in anderen Projekten mitzuarbeiten.

Bei all diesen Wechseln geriet in der Vergangenheit manchmal aus dem Blick, den Mitarbeitern auch Feedback für die im einzelnen Projekt geleistete Arbeit zu geben. Nach Projektende fehlte vielen deshalb der Rücklauf – wie war meine Arbeit, welche der Ergebnisse werden tatsächlich umgesetzt? Und vielen Mitarbeitern fehlte laut Mitarbeiterbefragung schlicht und einfach ein „Dankeschön“ für die geleistete Arbeit.

Zugleich hatten die Vorgesetzten noch keinen Prozess aufgesetzt, um Mitarbeiter und Projekte minutiös zu prüfen. Das entspräche auch nicht der Unternehmenskultur, die dem Mitarbeiter eher Freiheit als Überprüfung gewährt.

Wie sollte ein Vorgesetzter nun also seinem Mitarbeiter Wertschätzung vermitteln, wenn dieser oft außerhalb des eigenen Bereichs arbeitete – bei zeitgleich größtmöglicher Gewährung von Freiheit? Personalchef Axel Tripkewitz hatte im Jahr 2005 die zündende Idee. „Der Impuls muss von anderer Stelle als vom Vorgesetzten kommen“, dachte er sich. Sein Einfall: eine „E-Thank-You Card“. Der Gedanke dieser Karte ist einfach – die Umsetzung war etwas komplexer: Jeder Mitarbeiter hat die Möglichkeit, einem anderen Mitarbeiter im Unternehmen über ein im Intranet verfügbares Programm eine „E-Thank-You Card“ zu senden. Wenn Mitarbeiter Schulze beispielsweise im Projektteam von Mitarbeiter Meier mitgewirkt hat und Meier der Meinung ist, dass Schulze einen guten Job gemacht hat, dann nutzt Meier die E-Thank-You Card, um „Danke“ zu sagen.

Im ersten Moment mag man denken „Warum sagt er es ihm nicht persönlich?“ kann er natürlich und tut er auch. Doch wenn Meier seinem Kollegen per elektronischer Karte eine persönliche Botschaft zukommen lässt, erhält der Vorgesetzte von Schulze automatisiert eine Kopie dieser Nachricht in seine Mailbox. Dadurch erfährt der Chef, wenn sein Mitarbeiter irgendwo im Unternehmen gute Arbeit geleistet hat. Durch einen Mausklick kann er die erhaltene Nachricht dann an seinen Mitarbeiter weiterleiten und ihm auch für die Leistung gratulieren. Mit einem weiteren Mausklick kann er dann noch einen Betrag in Höhe von 200, 400 oder 800 Euro anhängen, die der Mitarbeiter auf seiner nächsten Gehaltsabrechnung wieder findet. Auch das geschieht automatisch: durch eine Verknüpfung der E-Thank-You Card an das Org-Management im SAP System wird die Information automatisch in der nächsten Abrechnungsrunde mit verarbeitet.

Am Anfang, vor Umsetzung dieser Idee, begegnete der Personalchef einigen Zweifeln. „Wie budgetieren wir das denn?“, wurde Tripkewitz von seinen Kollegen aus der Geschäftsleitung bei der Präsentation seiner Idee gefragt. „Das läuft doch aus dem Ruder – dann schickt Jeder Jedem ständig einen elektronischen Dank“, war eine weitere Befürchtung. Doch der Personalchef kannte seine Leute und war davon überzeugt, dass sie gewissenhaft mit der neuen Form der Incentivierung umgehen würden. Schließlich ist er seit über 25 Jahren in der Personalabteilung des Unternehmens. Tripkewitz appellierte an das Vertrauen seiner Kollegen in der Geschäftsleitung, die ebenfalls zwischen zehn und 25 Jahren im Unternehmen sind.

„Wir budgetieren das gar nicht.“, schlug er vor. „Wir beenden einfach unser Gießkannen-Prinzip der bis dato bestehenden „Discretionary“ Bonus-Auszahlungen am Ende des Jahres und lassen unsere Mitarbeiter das Jahr über vorschlagen, wer einen Bonus bekommen soll. Den schütten wir dann unmittelbar aus.“

Die Geschäftsleitung stimmte zu. Trotzdem schaute der Personalchef in den ersten Monaten nach Einführung des Systems etwas genauer hin. Doch alle Befürchtungen waren unbegründet. Nur eine einzige Abteilung musste er zu Beginn Verhältnismäßigkeit anmahnen – seitdem läuft das System rund.

Mit dem Ergebnis sind alle zufrieden. Die Mitarbeiter erhalten mehr Wertschätzung für ihre Arbeit, die Vorgesetzten bekommen regelmäßig zugetragen, wenn ihr Team besonders gute Leistung erbracht hat. Und die Geschäftsleitung muss sich am Ende des Jahres keine Gedanken mehr machen, wie nun der Bonus-Topf ausgeschüttet wird. Dabei helfen die Mitarbeiter ihnen nun tagtäglich – und verteilen übers Jahr gerechnet weniger Geld als die Geschäftsleitung sonst für Bonuszahlungen budgetiert hätte.

FIRMENFAKTEN

Fujitsu Semiconductors Europe (FSEU) ist eine von sechs regionalen Tochtergesellschaften der Japanischen Muttergesellschaft Fujitsu Semiconductors Limited ( 7.000 Mitarbeiter ), die wiederum vollständig zu Fujitsu Limited ( 173.000 Mitarbeiter ) gehört.

Zu den Hauptkunden des Unternehmens gehören Automobilhersteller- und Zulieferer und Zulieferer aus der Telekommunikationsindustrie.

FSEU wurde Anfang der 80er Jahre in Frankfurt am Main / Langen gegründet und beschäftigt inzwischen rund 400 Mitarbeiter – 30 Prozent mehr als noch vor vier Jahren. 70 Prozent davon sind Ingenieure. Bis heute gibt es in dem Unternehmen keinen Betriebsrat.

Das Team hat inzwischen Technologien entwickelt, die dem Unternehmen in einzelnen Sparten einen Weltmarktanteil von 80 Prozent sichern. FSEU wurde mehrfach als einer der beliebtesten Arbeitgeber in Deutschland (Top Arbeitgeber Automotive, Top Arbeitgeber Ingenieure, TOP JOB, Great Place to Work) ausgezeichnet.


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