Martin Grosser

In der Krise vermittelten der enge Kontakt und die Transparenz den Mitarbeitern Sicherheit.

Phoenix Contact

Gunther Olesch, Geschäfstführer

Seit wir die Mitarbeiter-zugewandter führen, hat sich der Umsatz um 60 Prozent erhöht.

Phoenix Contact

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„Wir haben 84 Jahre gebraucht, um einen Jahresumsatz von 1 Milliarde Euro zu erreichen. Jetzt haben wir innerhalb von vier Jahren unseren Umsatz bereits auf 1,5 Milliarden erhöht“, erzählt Geschäftsführer für Personal, Informatik und Recht, Prof. Dr. Gunther Olesch, der begeistert und mit kräftigem Händedruck begrüßt.

Das Unternehmen, für das Gunther Olesch arbeitet, ist vielen ebenso wenig bekannt wie seine Erfolgsgeschichte in den vergangenen Jahren. Dabei gehört der familiengeführte Zulieferer aus dem nordrhein-westfälischen Blomberg zu einem der beliebtesten Arbeitgebern Deutschlands. Neben vielen anderen Auszeichnungen für seine Personalpolitik hat Phoenix Contact gerade den weltweit renommierten Innovations-Technologiepreis Hermes Award der Hannover Messe gewonnen.

Das beschauliche 16.000 Einwohner-Städtchen Blomberg liegt nicht gerade zentral. Von der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover braucht man 70 Minuten mit der S-Bahn und weitere zehn Minuten mit dem Taxi, um den Hauptsitz von Phoenix Contact zu erreichen. Trotz dezentraler Lage und des für den Normalverbraucher unbekannten Unternehmensnamens hat der familiengeführte Elekronik- und Automatisierungszulieferer wenig Mühe, offene Stellen zu besetzen. Jeden Monat erreichen das Unternehmen um die 800 Bewerbungen.
Und wer bei Phoenix Contact erst einmal angefangen hat, der bleibt dem Unternehmen meist langfristig treu. Die Fluktuationsrate bei den Mitarbeitern liegt bei 0,6 Prozent – der Bundesdurchschnitt ist mit 7,4 Prozent mehr als zehn Mal so hoch. Als produzierendes Gewerbe mit einem 3-Schichtsystem liegt die Krankenrate mit 3,1 Prozent auch erstaunlich deutlich unter bundesweiten 7,1 Prozent.

Um zu verstehen, was das Unternehmen anders macht, muss man Gunther Olesch und seinen Mitarbeitern nur wenige Minuten zuhören. „Unsere Unternehmenskultur hat einen starken Fokus auf die Mitarbeiter. Die Menschen, die bei uns arbeiten, sollen sich wohl fühlen.“

VERTRAUEN UND FOKUS AUF DIE MENSCHEN

Um die Jahrtausendwende traf sich das Führungsteam um den geschäftsführenden Gesellschafter Klaus Eisert, um die langfristige Entwicklung des Unternehmens zu betrachten. Schnell wurde deutlich: wenn Phoenix Contact am Weltmarkt mit Mitbewerbern wie Siemens oder Bosch langfristig unabhängig bleiben will, muss das Unternehmen deutlich wachsen.

Um dieses Wachstum zu erreichen, entwickelten die Blomberger Strategen im Jahr 2007 das „Trust Concept“. Das Ziel des Konzepts: Bis zum Jahr 2020 soll Phoenix Contact als vertrauenswürdigstes Unternehmen der Branche bekannt sein. Dies – so der Ansatz der Blomberger – sichert langfristig partnerschaftliche Beziehungen zu den Kunden und nachhaltiges Wachstum.

Bei den Überlegungen zum Trust Concept entstand ein erstes Zwischenziel. Nur mit den Mitarbeitern gemeinsam war diese langfristige Entwicklung möglich, nur so konnte „Exzellenz in Führung und Kommunikation“ erreicht werden. Den Blombergern war klar, dass – wenn Vertrauen etwas ist, wofür das Unternehmen stehen will – Vertrauen zuerst innerhalb der eigenen Mannschaft gestärkt werden musste. Erst wenn dies erreicht sein würde, könnte man als Unternehmen Vertrauen von Außen erreichen. Zudem kam Phoenix Contact durch stetige Kundenfeedbacks zu einer wichtigen Erkenntnis: Die eigenen Mitarbeiter sind ein grundlegendes Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Wettbewerb. Der Kontakt mit den Phoenix Contact-Mitarbeitern kam bei den Kunden gut an. Ihre Rückmeldungen ergaben, dass der persönliche Kontakt zum Unternehmen Spaß mache.

Um ganz konkret die Führungkräfte und -kultur zu entwickeln, wurden Mitarbeiterumfragen für einzelne Unternehmensbereiche ausgewertet und mit den Ergebnisse von 360 Grad Feedbacks kombiniert. Daraus leiten sich individuelle Maßnahmen aus einem großen Angebot externer und interner Coachings undTrainings ab – das Angebot ist sehr facettenreich und es gibt eine umfangreiche Betreuung durch die HR-Abteilung. Um das neue Konzept bestmöglich in das Unternehmen zu tragen, wurden in jeder Abteilung sogenannte Trust-Prozessbegleiter verankert. Diese Mitarbeiter gehörten bereits seit längerer Zeit zu den Abteilungen und erhielten nun die zusätzliche Verantwortung, den Trust Prozess „aus dem System heraus“ zu unterstützen. Sie wurden zu wichtigen Anlaufstellen im Veränderungsprozess: zu Ansprechpartnern von Kollegen, Beratern der Unit-Leiter und zu Mittelsmännern zwischen Vorgesetzten, Mitarbeitern, Personalabteilung und Geschäftsleitung. Die insgesamt 30 Prozessbegleiter schlossen sich zudem zu einem eigenständigen Netzwerk zusammen, das sich seitdem im steten Austausch befindet und als zusätzlicher Multiplikator interner Kommunikation arbeitet.

„Diese Kollegen wissen, wie das, was von oben kommt, weiter unten aufgenommen wird. Sie gehören nicht zur Personalabteilung und sollen ganz bewusst subjektive Stimmungen aufnehmen und zurück nach oben tragen. Sie sind unsere Seismographen“, erklärt Personalentwicklerin Yamilet Lucia Popp. „Dadurch erkennen wir, was wir noch besser machen können.“

Mit Hilfe der Anregungen aus dem Netzwerk der Prozessbegleiter begann beispielsweise das Management nach Wegen zu suchen, noch unmittelbarer mit den Mitarbeitern zu kommunizieren. Die Lösung: Inzwischen transportiert die Führungsebene in mehrsprachigen (und gebärdensprachigen) abrufbaren Video-Podcasts mehrmals pro Jahr ihre Botschaft über tagesaktuelle und strategische Ereignisse im Unternehmen an die Belegschaft. Beispielsweise diskutieren die Leiter der Personalentwicklung und des Personalmanagements in einem Video-Podcast über die Ergebnisse aktuellster Mitarbeiterumfragen und deren Bedeutung für das Unternehmen.

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KOMMUNIKATION UND VERBUNDENHEIT

Jeanie Duck, einer der weltweiten Change-Pioniere, hat die Erkenntnisse ihrer über 30-jährigen Arbeit kürzlich zusammengefasst. Sie schreibt: Eine der wichtigen Zutaten für jedes Unternehmen, das sich in einer Veränderungsphase befindet lautet: „Stay connected“. Im Jahr 2009, als die weltweite Wirtschaft Achterbahn fuhr, tat Phoenix Contact genau das: Alle zwei Monate gab es eine Betriebsversammlung, in der die Geschäftsführung über die aktuelle Auftrags- und Finanzsituation informierte. „Wir wissen nicht, wie der Umsatzverlauf in den kommenden Monaten aussehen wird, doch unser höchstes Prinzip ist es, dass keine Mitarbeiter entlassen werden müssen“, war die Botschaft der Führungsebene. „Dieser enge Kontakt und die Transparenz vermittelten den Mitarbeitern Sicherheit“, erinnert sich Martin Grosser, Leiter Personalentwicklung. Das Unternehmen profitierte hier von der Offenheit und Glaubwürdigkeit der Führungsebene und überstand die Krise so ohne größere interne Verwerfungen.

Als im gleichen Jahr Produktionsmitarbeiter in Kurzarbeit gehen mussten, zog die Geschäftsleitung nach: Alle Manager der Top-Führungsriege verzichteten prozentual auf das gleiche Gehalt, auf das ihre Kurzarbeit-Mitarbeiter verzichten mussten. Trotz der Krise hielt die Führungsebene das Versprechen, keine Mitarbeiter zu entlassen. In den Jahren 2009 bis 2011 musste nicht ein Einziger der deutschlandweit 6.000 Angestellten das Unternehmen unfreiwillig verlassen.

Phoenix Contact bindet die oberste Führungsebene auch in anderen Bereichen offensiv ein. Jüngst entwickelte das Unternehmen ein gemeinsames Führungskräfte-Leitbild. Die knapp 40 Workshops, in denen das Unternehmen die 770 leitenden Mitarbeiter an die Leitbilder heranführt, werden nicht einfach nach unten delegiert. In jedem dieser Workshops wirkt – neben Prozessbegleitern und Moderatoren – auch ein Mitglied der Geschäftsführung und dem oberen Management mit. So können die neuen Leitbilder hautnah vermittelt und mit den „Entwicklern“ selbst diskutieren werden.

Diese Art der nahen Kommunikation setzt der geschäftsführende Gesellschafter Klaus Eisert in seinen jährlichen Weihnachtsbriefen fort, die jedem Mitarbeiter per Post zugestellt werden. Er kommentiert in seinen mehrseitigen Schreiben auf eine persönliche Art nicht nur die weltpolitische und -wirtschaftliche Lage, sondern informiert auch detailliert über den Umsatzverlauf, erklärt Firmenstrategie und aktuelle Veränderungen im Unternehmen.

Um die Verbundenheit zwischen Mitarbeiter- und Führungsebene zu stärken, verzichtet Phoenix Contact bewusst auf eine Führungsetage. Die Geschäftsführung sitzt dezentral in dem Bereich, den das jeweilige Mitglied der Unternehmensleitung verantwortet. Die Tür des geschäftsführenden Gesellschafters steht den Mitarbeitern fast immer offen – und wird die Option nicht genutzt, kreuzen sich die Wege unvermittelt an anderen Orten des Firmengeländes. Oft trifft man Klaus Eisert zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten in den Produktionshallen an, während er sich bei den Mitarbeitern erkundigt, wie es ihren Familien geht.

DAMIT MITARBEITER SICH WOHL FÜHLEN

Für sein berufliches Gesundheitsmanagement erhielt Phoenix Contact im Jahr 2010 den Human Resources Award des Fraunhofer Innovationsforum Demografie + Gesundheitsressourcen. Diesen Preis hat sich Phoenix Contact damit verdient, dass das Unternehmen im Jahr 2004 das eigene Gesundheitszentrum „Actiwell“ gegründet hat. Den Mitarbeitern steht seitdem ein breites Programm offen, das mit klassischem Muskelaufbau und Fitness beginnt, Entspannungstechniken vermittelt, einen speziell auf Eltern zugeschnittenen Entspannungskurs anbietet und selbst Gesundheitsworkshops für Auszubildende im Portfolio hat. Die inhaltliche Kompetenz hierfür holten sich die Blomberger vom Institut für Arbeitsmedizin in Detmold und dem Staatsbad Pyrmont.

Nach einer mehrjährigen Evaluationsphase, an der mehrere hundert Mitarbeiter teilnahmen, steht heute fest: die Investition in das Gesundheitszentrum lohnt sich messbar, für Mitarbeiter und Unternehmen. Mitarbeiter, die bei dem Actiwell-Angebot langfristig mitmachen, sind nachweisbar seltener krank.

Zusätzlich zu den Angeboten im Actiwell Gesundheitszentrum gibt es weitere Ansätze, auch die psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu stärken. Phoenix Contact geht als Arbeitgeber auch auf die Alltagssorgen der Mitarbeiter ein. Insbesondere die Eltern unter den Mitarbeitern erhalten Unterstützung. Denn Nachwuchs zu haben bedeutet neben der Bereicherung auch eine zusätzliche zeitliche Belastung, und fordert ein hohes Maß an Flexibilität. Das ist ein Balanceakt, der seit der Auflösung der klassischen Rollenverteilung „Mann geht arbeiten und Frau kümmert sich um die Kinder“ für viele immer schwieriger zu lösen ist.

Phoenix Contact hat verstanden, dass Mitarbeiter, die sich weniger Sorgen um ihre Kinder machen, beruflich fokussierter und zufriedener sind. Daher gibt es inzwischen einige Angebote für Kinder verschiedenster Altersgruppen. Das Unternehmen hat an einigen Orten rund um Blomberg jederzeit Zugriff auf zehn Notfall-Plätze in Kindertagesstätten, die von Mitarbeitern in Ausnahmesituationen kostenlos gebucht werden können. Die Betreuungszeiten sind hochflexibel, beginnen bereits um 6:30 und enden um 20:30. Außerhalb dieser Betreuungszeiten hat jeder Mitarbeiter Zugriff auf ein vom Unternehmen finanziertes Kontingent von 100 Stunden Wochenend- oder Nachtbetreuung des eigenen Kindes. In den Ferien ergänzt Phoenix Contact das Angebot für Schulkinder. Die Plätze in Kindertagesstätten sind während dieser Zeit für 30 Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren verfügbar. Grössere Kinder ab der 8. Klasse können in eine kostenlose mehrwöchige Phoenix Contact „Summer School“ gehen.

Was mit der Unterstützung bei den ganz Kleinen startet, hört bei den Älteren nicht auf: Wenn ein Mitarbeiter das Unternehmen verlässt, wird ein umfassender Prozess des Wissenstransfers initiiert. Gemeinsam mit einem Moderator arbeitet der Mitarbeiter und seinen engsten Kollegen daran, neben dem offensichtlichen auch das verborgene Wissen sichtbar zu machen – und somit für das Unternehmen zu erhalten. Auf großflächigen Papierwänden werden „Wissensbäume“ aufgemalt.
„Das ist eine sehr wertschätzende Art, Dinge, die sich über Jahre und Jahrzehnte in unserem Mitarbeiter angesammelt haben, zu externalisieren und für die Nachfolger verfügbar zu machen“, beschreibt Martin Grosser diesen Prozess. Menschen im Mittelpunkt zu haben bedeutet in Blomberg scheinbar auch, die altverdienten Mitarbeiter mit einem bestmöglichen Gefühl gehen lassen zu können.

FIRMENFAKTEN

Das heute in Blomberg ansässige Unternehmen Phoenix Contact wurde im Jahr 1923 in Essen gegründet und firmierte unter dem Namen „Phönix Elektrizitätsgeschäft“. Als im Jahr 1943 erste Bomben in den Firmensitz einschlugen, verlagerte das Unternehmen seinen Firmensitz teilweise nach Blomberg. 1966 folgte der endgültige Umzug an den neuen Standort.

Das Unternehmen ist in der Elektrotechnik und Automatisierung zu Hause und liefert Produkte, die beispielsweise im Maschinenbau, der Solartechnik, urbaner Infrastruktur oder auch Bereichen wie der Wind- und Solartechnik verarbeitet werden.

1981 begann das Unternehmen ins Ausland zu expandieren – die Schweiz machte den Anfang, es folgten Schweden und die USA. Zeitgleich wurde aus „Phönix Klemmen“ der internationalere Name „Phoenix Contact“. Inzwischen ist das Unternehmen in 50 Ländern vertreten.

Im Jahr 2007 knackt Phoenix Contact die Marke von 1 Milliarde Umsatz. Vier Jahre später schafft das Unternehmen mit seinen weltweit 12.300 Mitarbeitern und Produktionsstandorten in sieben Ländern bereits 1,52 Milliarden Euro Jahresumsatz. Seit dem Jahr 2008 wurde Phoenix Contact mehrfach vom Great Place to Work® Institut Deutschland zu einem der beliebtesten Arbeitgeber des Landes gekürt und gewann zahlreiche weitere Preise für seine Personalführung.


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